Saatgut- und Sorten-Vielfalt in Gefahr: Die neue EU-Saatgutverordnung

Im Mai 2011 verlautbarte die ARCHE NOAH, Gesellschaft für die Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt & ihre Entwicklung in Österreich noch, dass zumindest vorerst die Gefahr der Einschränkung des Saatguttausches in Österreich gebannt sei. Nun, zwei Jahre später beginnt erneut das große Zittern, denn schon bald könnte der Tausch und Verkauf von natürlichem und altem Saatgut auch in Österreich eine strafbare Handlung werden! In anderen EU-Staaten sieht es jetzt bereits nicht mehr allzu rosig aus und es könnte nach einer Verabschiedung der neuen EU-Saatgutverordnung noch prekärer  werden. Das Thema betrifft also alle Bürger der Mitgliedsstaaten und sogar Länder außerhalb der EU!

Die EU-Kommission versucht nun zwar zu beschwichtigen, doch wir GartenGnome sehen die Saatgutverordnung weder in ihrer bisherigen Form, noch in einer überarbeiteten Form als akzeptabel an. Alles was hier geschieht zeigt deutlich, dass die EU ihre Gesetzgebung an die Wünsche der großen Konzerne angleicht, die schon lange mehr Macht zu haben scheinen, als jede Regierung.

Ich habe lange recherchiert um zu verstehen, worum es tatsächlich geht, doch leider stieß ich immer wieder an tote Enden. Viel zu oft wurde über dieses Thema nur sehr oberflächlich berichtet und viel Halbwissen wurde verbreitet. Darum habe ich mich direkt an ARCHE NOAH gewandt – das Interview könnt ihr in diesem Artikel nachlesen.

Einheitliches Saatgut für den Konsumentenschutz?

Offiziell geht es bei der EU-Verordnung zur Regulierung von Pflanzensorten, die Kommissar Tonio Borg in wenigen Tagen präsentieren will um die Qualität von Saatgut und um den Konsumentenschutz: Saatgut, das in den Handel gelangt soll ausreichend geprüft, katalogisiert, registriert und möglichst uniform sein. Jeder Konsument soll sich anhand von standardisierten EU Zertifikaten darauf verlassen können, dass jedes gesäte Radieschen aussieht und wächst wie alle anderen Radieschen dieser Sorte.

Die Pflanzen sollen möglichst makellos, schnellwachsend, robust und krankheitsresistent sein. Man könnte also auch gleich von F1-Hybriden, Terminator-Saatgut oder genetisch verändertem Saatgut sprechen, denn alle natürlichen Sämereien besitzen zumindest das Merkmal der Uniformität nicht.

Fragen zur Saatgutverordnung-Neu

Da ich bei meinen Recherchen bald an einem Punkt angelangt war, an dem ich entweder viele sich widersprechende Angaben, oder aber gar keine Informationen vorfand, stellte ich meine Fragen via E-Mail an den Verein ARCHE NOAH. Die Antworten, die uns Frau Astrid Österreicher daraufhin gab, könnt ihr gleich hier ungekürzt nachlesen. Ein paar Textstellen wurden dabei aus dem Skriptum zur Pressekonferenz am 16. April 2013 entnommen.

Der Buddler: Bereits jetzt sind einige Länder der EU von diesen Regelungen betroffen. Wie kommt das, welche Länder sind betroffen und wieso?

Astrid Österreicher: Derzeit wird der Saatgutmarkt durch ca. 15 EU-Richtlinien geregelt. Die EU kümmert sich um dieses Politikfeld, da in der EU ein gemeinsamer Markt besteht. Aus den EU-Richtlinien wird nun eine harmonisierte EU-Verordnung. Der Unterschied zwischen EU-Richtlinie und EU-Verordnung ist, dass es bei einer Verordnung bei der Umsetzung im Mitgliedsstaat keine nationalen Spielräume mehr gibt. Derzeit gibt es also noch nationale Spielräume, und die werden von den einzelnen Ländern unterschiedlich genutzt.

Der Buddler: Österreich ist derzeit auch noch nicht betroffen?

Astrid Österreicher: In Österreich wird die Richtlinie für die Erhaltung seltener Sorten vergleichsweise großzügig ausgelegt, während sie z.B. in Frankreich sehr restriktiv gehandhabt wird. Das führte z.B. dazu, dass der französische Verein Kokopelli, der Saatgut von Sorten vermarktete, die nicht im offiziellen Katalog zugelassen waren, letztes Jahr vor dem EuGH verurteilt wurde.

Der Buddler: Kam die negative Stimme von Minister Berlakovich tatsächlich aufgrund der Proteste an ihn?

Astrid Österreicher: Minister Berlakovich meldete sich zu Wort, nachdem Global 2000 und Arche Noah eine Pressekonferenz und eine Kampagne gestartet hatten.

Der Buddler: Überall ist von inoffiziellen Dokumenten der EU zu lesen. Kann man diese auch irgendwo einsehen um sich selbst ein Bild machen zu können? Gibt es bereits offizielle Vorlagen zur Verordnung?

Astrid Österreicher: Ja, es gibt Entwürfe, die zwar nicht veröffentlicht wurden, aber an die Öffentlichkeit durchgesickert sind. Die deutsche Saatgutkampagne hat unter folgender Adresse einen Entwurf online gestellt: Draft on plant reproductive materials (PDF)

Der Buddler: Die EU-Kommission ließ verlautbaren, dass die Regelung nicht für Kleinstbauern und Privatgärtner gelte – Trifft das zu?

Astrid Österreicher: Diese Ausnahme (Registrierung als „offiziell anerkannte Beschreibung“, Artikel 10) des inoffiziellen Entwurfs reicht nicht aus, um unsere seltenen Sorten zu schützen. Es handelt sich um reine Schönfärberei. Diese „Registrierung light“ bezieht sich nur auf ALTE Sorten, die bereits auf dem Markt waren, bevor die Verordnung in Kraft tritt. In anderen Worten: Alle alten Sorten, sie auf dem Markt nicht verfügbar waren, alle Sorten die nicht beschrieben sind (die z.B. keinen offiziellen Namen haben), alle alten Sorten die noch entdeckt und aufgestöbert werden, und alle neuen seltenen Sorten (z.B. Kreuzungen zwischen zwei alten Sorten) müssen die Zulassungstest für industrielle Sorten bestehen, um auf dem Markt zugelassen zu werden. Weiter gedacht bedeutet dies auch, dass die Beweislast, ob eine Sorte bereits einmal auf dem Markt zugelassen war, bei der Person liegt, die diese Sorte weiterverbreiten will.

Der Buddler: Was würde sich ihrer Meinung nach durch das In-Kraft-Treten einer solchen Verordnung für Privatleute, Gärtner, Landwirte, Vereine und Organisationen, etc. ändern?

Astrid Österreicher: Der aktuelle Verordnungsentwurf schadet LandwirtInnen, die seltene Sorten anbauen, bevormundet GärtnerInnen, schränkt KonsumentInnen ein, und schädigt die Umwelt.

  • Schaden für den Konsumenten: Das würde eine Einschränkung für die KonsumentInnen mit sich bringen. Wer schon einmal in eine saftig-aromatische Paradeisrarität vom Bauernmarkt gebissen hat, sich bei einer Sortenausstellung durch die Geschmacksvielfalt alter Apfelsorten gekostet hat, kennt den Unterschied und weiß, was auf dem Spiel steht. Die Nachfrage nach diesen Lebensmitteln steigt, weil sich immer mehr Menschen gesund ernähren wollen und weil diese Produkte einfach gut schmecken. Dies unterscheidet sie deutlich von den meisten Massenprodukten, die nach gar nichts schmecken, weil der Geschmack in Folge einer einseitigen Hochertragszüchtung verloren gegangen ist.
  • Schaden für den Markt: Die Folge wäre, dass Sortenraritäten, wie sie in Österreich im Einzelhandel und in Hofläden bereits erhältlich sind, kaum noch zu kriegen wären. Der österreichische Markt für Sortenraritäten in Form von Saatgut, Pflanzen oder Lebensmitteln erfreut sich großer Nachfrage – selbst Diskonter führen seltene Sorten von Obst und Gemüse.
  • Schaden für Mensch und Umwelt: Durch die Förderung von industriellem Saatgut verbauen wir uns unsere Zukunft. Die Umwelt wird durch die damit verbundenen Folgeschäden stark in Mitleidenschaft gezogen und die Ernährungssicherheit gerät ins Wanken.

Der Buddler: Was brächte es, wenn Minister Berlakovich die Verordnung nicht unterzeichnet? Würde das überhaupt etwas bewirken, würde das nur Österreich aus dem Vertrag nehmen oder würde es die gesamte Verordnung zu Fall bringen?

Astrid Österreicher: Zuerst muss die EU-Kommission einen Vorschlag veröffentlichen, was voraussichtlich am 6. Mai passieren wird. Die Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz hat diesen Vorschlag erarbeitet, aber die beiden Generaldirektionen Landwirtschaft bzw. Umwelt sind kritisch eingestellt. Derzeit sind also die 27 EU-KommissarInnen an der Reihe, über den Vorschlag abzustimmen. Eine Mehrheit von 14 müsste dagegen stimmen, damit er nicht veröffentlicht wird.

Danach geht der Entwurf an den Rat und an das EU-Parlament, die ebenfalls beide dafür stimmen müssen, damit die Verordnung in Kraft tritt. Im Ministerrat kann der österreichische Landwirtschaftsminister gemeinsam mit einer Allianz von anderen europäischen Ländern den Entwurf ablehnen. Alleine kann er gar nichts bewirken, denn Österreich ist ein kleines Land. Österreich kann auch nicht im Alleingang aus der Verordnung austreten.

Die Arche Noah hat letztes Wochenende einen Workshop mit osteuropäischen VertreterInnen von Saatgutinitiativen veranstaltet, um sie über die geplante EU-Saatgutverordnung zu informieren. Wir hoffen, dass sie nun auch in ihren Ländern aktiv werden und Medien und Politik informieren, um auf europäischer Ebene einen gemeinsamen Widerstand organisieren zu können. Die Arche Noah ist also nicht nur auf nationaler Ebene aktiv, sondern bemüht sich um internationale Vernetzung.

Der Buddler: Welche Kalenderdaten sind zu diesem Thema wichtig bzw. bis wann kann die Petition noch unterzeichnet werden, wann werden die Dokumente unterzeichnet, ab wann würden die Gesetze gelten, etc.?

Astrid Österreicher: Der gesamte Prozess dauert mindestens einige Monate. Solange wird die Arche Noah auch gemeinsam mit Global 2000 Unterschriften sammeln. Die Verordnung kann erst in Kraft treten, wenn EU-Kommission, EU-Rat und EU-Parlament dafür gestimmt haben. Die Agrarlobby macht derzeit Druck, um die Verordnung so schnell wie möglich durchzupeitschen. Nächstes Jahr sind EU-Wahlen und die Agrarlobby möchte die Verordnung noch davor durch die Institutionen durchschleusen, da sie bereits jahrelang in Lobbyarbeit investiert hat.

Der Buddler: Was sollte im Rahmen dieses Artikels noch unbedingt erwähnt werden?

Astrid Österreicher: Erwähnt werden sollte, dass Gesellschaft, Wirtschaft und Gesetze nichts gottgegebenes sind, sondern von uns Menschen gestaltet werden können. Es ist Zeit, dass wir beginnen uns um unsere Belange selbst zu kümmern. Ein Weg ist politisches Engagement; ein anderer ist es, die Saatgutfrage selbst in die Hand zu nehmen und Saatgut selbst zu vermehren.

Warum Sortenvielfalt?

Die Erhaltung der Vielfalt unserer Kulturpflanzen sollte für Gärtner, aber auch für alle Menschen höchste Priorität haben. Jede Sorte füllt ihre eigene kleine oder große Nische aus und auch wenn sich Pflanzen verwandter Sorten ähneln, so besitzen sie dennoch auch Unterschiede.

Sortenvielfalt bedeutet unter anderem Erntesicherheit. Bringt man zum Beispiel auf einem Feld nur eine Kartoffelsorte aus, so kann diese im einen Jahr üppig wachsen und im anderen Jahr von Pilzen heimgesucht werden. Will man sicher gehen, dass die Ernte immer genügend abwirft, so bringt man einfach mehrere unterschiedliche Sorten aus. Jede Sorte besitzt andere Resistenzen und kommt mit anderen Witterungs-Extremen klar. So wird das in den südamerikanischen Herkunftsregionen der Erdäpfel (Kartoffeln) schon seit Jahrtausenden praktiziert.

In unterschiedlichen Regionen haben sich unterschiedliche Sorten bewährt. Verbohrte Landwirte versuchen ihre Böden möglichst so zu verändern, dass die gewünschten Pflanzen darauf optimal wachsen können. Schlaue Landwirte erkennen, welche Pflanzen zu ihrem vorhandenen Boden passen könnten. Die zweite Methode funktioniert aber nur dann, wenn dem Landwirt auch eine große Palette an verfügbaren Sorten zur Verfügung stehen.

Was bedeutet das nun für private Gärtner?

Für Gärtner gilt dasselbe wie für Landwirte. Schlaue Gärtner sollten herausfinden, welche Pflanzen in ihrer Gartenerde optimal wachsen. Je größer die verfügbare Sortenvielfalt, desto mehr verschieden Pflanzen können im Garten auch angebaut werden. Müssten wir die Sortenvielfalt drastisch reduzieren, so müssten auch Gärtner ihre Böden an die Pflanzen anpassen, anstatt umgekehrt.

Seit 2008 strebt die EU-Kommission in Brüssel die umfassende Überarbeitung des Europäischen Saat- und Pflanzgutverkehrsrechts an. Grundsätzlich wären europaweite rechtliche Rahmenbedingungen wünschenswert, denn diese könnten auch das Verschwinden der Sortenvielfalt aufhalten. Leider zeigt sich aufgrund der durchgesickerten inoffiziellen Entwürfe der EU-Kommission, dass die geplanten Punkte eher dagegen sprechen. Der Verordnungsentwurf zeigt, dass traditionelle Sorten und Raritäten vom Markt verdrängt werden sollen.

Selbst wenn man den neuesten Beschwichtigungsversuchen der EU-Kommission Glauben schenken darf und die neue Verordnung keine Privatpersonen treffen würde, so wird sie für Gärtner doch eine bedeutende Rolle spielen, denn in vielen Fällen vermehren wir unser Saatgut (noch) nicht selber und getauscht wird auch (noch) nicht allzuviel. Im Gartencenter, Baumarkt, Supermarkt oder Diskonter werden wir künftig wohl nur noch F1-Hybrid-Saatgut großer Konzerne finden, sollte die Verordnung erfolgreich verabschiedet werden. Die Auswahl von Vereinen zur Saatguterhaltung könnte sich ebenfalls stark einschränken.

Das Thema geht nicht alleine Österreicher etwas an, sondern genauso Deutsche und andere EU-Bürger, ja sogar in Nicht-EU-Ländern wie der Schweiz werden die Menschen nervös! Die beste Regulierung, so Global 2000 und Arche Noah wäre es, gar keine Regulierung vorzunehmen. Im Mai 2011 hat die EU-Kommission diese Option sogar selbst in ihrem „Options and Analysis paper“ eingeräumt.

Wir kleine Gärtner können hier leider oft nicht viel tun, außer unsere Meinung lautstark kundzutun, die Botschaft im Bekanntenkreis und in den eigenen Netzwerken weiterzutragen und die Petition zu unterzeichnen. Wer die entsprechenden EU-Kommissare direkt anschreiben will, der findet sie auf den entsprechenden Seiten der EU.

Weiterführende Literatur und Quellen

Allgemein

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